Mathematik an der Universität Göttingen
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Die Diasammlung Friedrich Schillings am Göttinger Mathematischen Institut

von Anja Sattelmacher aus Berlin

Zum Ende des 19.Jahrhunderts nahm die Zahl der Studierenden im Fach Mathematik an Universitäten und Technischen Hochschulen in Deutschland dramatisch zu. Vollbesetzte Hörsäle veranlassten, dass vor allem im Unterricht der Darstellenden Geometrie raumgreifende strukturelle Veränderungen vorgenommen werden mussten. Zeichnungen an der Tafel oder einzelne geometrische Modelle waren bei größeren Zuhörerzahlen nicht mehr für alle gleichermaßen gut sichtbar. Mitunter wurde daher im mathematischen Unterricht ein Projektionsapparat verwendet anhand dessen Abbildungen von Modellen oder geometrischer Zeichnungen einem größeren Zuhörerkreis gezeigt werden konnten. In Göttingen lässt sich diese Entwicklung anhand einer umfangreichen Diasammlung dokumentieren, die ab etwa 1898 von Friedrich Schilling, Professor für Darstellende Geometrie, angelegt wurde. Heute zählt diese Sammlung etwa 900 Glasdiaplatten, die teils bei professionellen Fotografen angekauft, teils von wissenschaftlichen Assistenten selbst angefertigt wurden.

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Die Motive (hauptsächlich Diapositive und -negative des Formats 9 x 12 cm) wurden in dafür vorgesehenen Holzkästen thematisch geordnet. Ihre Motive reichen von Abbildungen früher Flugzeugmodelle über Aufnahmen der Pariser Weltausstellung 1900 bis hin zu geometrischen Zeichnungen und Abbildungen von Modellen.

Eine gesonderte Klasse der Diasammlung stellen die stereoskopischen Aufnahmen von Modellen und Bauwerken dar. Zwei stereoskopisch fotografierte Motive wurden hierfür auf einer Glasplatte nebeneinander montiert, sodass sie anhand eines dafür vorgesehenen Projektionsapparates dreidimensional betrachtet werden konnten. In der Sammlung noch erhaltene 3D-Brillen der Marke „Zauberbrille“ legen die Vermutung nahe, dass das Betrachten stereoskopischer Modellbilder in Göttingen trotz ihres aufwendigen Verfahrens tatsächlich vollzogen wurde.

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Auch konnten solche Stereoskopien anhand von sich in der Göttinger Modellsammlung befindlichen Handstereoskopen betrachtet werden.

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Die Verwendung eines Projektionsapparates ermöglichte neue Wege im Umgang mit mathematischen Modellen bei steigender Studentenzahl. Die Göttinger Diasammlung dokumentiert somit die Phasen eines mathematischen Anschauungsunterrichts um 1900, der sich weg vom Gebrauch dreidimensionaler materieller Modelle hin zu praktischeren, handlicheren und auch preiswerteren Verfahren für die Schulung eines räumlichen Sehens bediente. Die Diasammlung ermöglichte es, sich den Vorzügen eines mathematischen Modells für den Anschauungsunterricht zu vergewissern, ohne sich des Objektes selbst zu bedienen. Und so legte auch Schilling in einer Beschreibung seiner Diasammlung 1904 dem Leser (und damit den Kollegen anderer Institute und Seminare) nahe, für den mathematischen Unterricht einen Projektionsapparat anzuschaffen.1 Im Göttinger Auditoriengebäude, wo das mathematische Institut bis 1929 untergebracht war, wurden bereits 1901 extra Zugvorrichtungen zur raschen Verdunklung im Hörsaal Nr. 18 angebracht, um einen reibungslosen Ablauf des Projektionsverfahrens zu gewährleisten.2

1: Schilling, Friedrich (1905): Welche Vorteile gewährt die Benutzung des Projektionsapparates im mathematischen Unterricht? In: A. Krazer (Hg.): Verhandlungen des 3. Internationalen Mathematiker-Kongresses in Heidelberg vom 8. bis 13. August 1904. Leipzig: Teubner, S. 751-755, hier: S. 755.
2: Vgl. die Nachlassakte Felix Kleins: SUB Universität Göttingen HSD, Cod. MsFKlein2C.

anja.sattelmacher@hu-berlin.de