Mathematik an der Universität Göttingen
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Mathematisches
Modell

Brunsviga Rechenmaschine „Ältestes Modell“. Aus der Modellsammlung des Mathematischen Instituts




Historisches




Die Göttinger Rechenmaschinen G1-G3 (1951-60)


Die Göttinger Röhrenmaschinen

Kaum einem Laien und wohl nur wenigen Wissenschaftlern ist heute noch bekannt, daß in Deutschland die Entwicklung elektronischer Rechenmaschinen vor vierzig Jahren am Max-Planck-Institut für Physik in Göttingen begann. Wesentlichen Anteil an den Arbeiten hatte Professor Dr. Heinz Billing, der 1948 unter anderem den Magnettrommelspeicher erfand. Dieser Pionier erinnerte sich an die Schwierigkeiten in den Kindertagen der Computer: "Trotz der Ansammlung von Wissenschaftlern mit großen Namen wie Max Planck, Otto Hahn, Werner Heisenberg, Max von Laue und Carl Friedrich Weizäcker - waren die Arbeitsbedingungen zumindest für alle experimentell Arbeitenden mehr als dürftig. Die noch aus dem Krieg stammenden wissenschaftlichen Geräte waren demontiert oder trotz miserablem Zustand als Kriegsbeute entnommen ... Aus Beständen der ehemaligen Wehrmacht besaß ich wenigstens einige Verstärkerröhren, ein paar Meßinstrumente für Strom und sogar einen kleinen, ganz einfachen Kathodenstrahloszillographen ..."


G1, G2, G3

Um den Physikern möglichst schnell eine leistungsfähige Rechenmaschine an die Hand zu geben, wurde zunächst 1951 die kleine G1 - G steht für Göttingen - gebaut, die ab 1952 als erste elektronische Anlage in Deutschland im Einsatz war. Sie wurde bald so ausgiebig genutzt, daß viele Benutzer ihren Nachtschlaf opfern mußten. Selbst in der Weihnachtsnacht wurde gerechnet, als ein Institutsgast mohamedanischen Glaubens die günstige Gelegenheit des christlichen Festes nutzte. Das erste große Rechenprogramm der G1 betraf die Theorie der kosmischen Strahlung: Mit der Maschine wurde berechnet, welche Bahnen die Teilchen der kosmischen Höhenstrahlung im Magnetfeld der Erde beschreiben. Die G1 brachte es auf zwei Operationen pro Sekunde. Sie wurde über Lochstreifen und eine gewöhnliche Schreibmaschine gesteuert, unter deren Tasten Kontakte und Zugmagneten angebracht waren. Vom 1. November 1952 bis zum 30. Juni 1958 wurde auf der G1 insgesamt 33.946 Stunden lang gerechnet. Zwanzigmal schneller rechnen konnte die G2, die am 1. Januar 1955 in Betrieb genommen wurde und es bis zum 30. Juni 1961 auf 36.076 Rechenstunden brachte. Ein weiter Weg wurde in knapp vierzig Jahren von der G1 bis zum modernen Computer zurückgelegt. Eines der wenigen Überbleibsel der längst verschrotteten Göttinger Rechenanlagen ist eine Matrix aus der G3 von 32 mal 32 Ferritkernen, die damals immerhin 512 D-Mark kosteten.


Das Prachtstück

Die G3 war mit zwei wesentlichen technischen Neuerungen ausgestattet und ging damit weit über ihre Vorläufer G1 und G2 hinaus. Seit 1952 war in den USA der Ferritkern als magnetisierbares Speicherelement entwickelt worden. Damit gelang es, weit schnellere Speicher zu bauen als mit der Magnettrommel. Die G3 besaß einen Speicher von 4096 Worten zu 42 Bit plus 1 Kennzeichenbit, was fast 180 000 Ferritkernen entspricht, die etwa 90 000 Mark kosteten. Zweitens wurde in der G3 die aus England stammende Idee der Mikroprogrammierung verwirklicht. Komplizierte Operationen wie etwa die Multiplikation zweier Gleitkommazahlen wurden hardwaremäßig aus einfachen Mikrooperationen zusammengesetzt, die physisch durch Ketten aus Ferritkernen und Diode realisiert wurden. Den 64 Maschinenbefehlen entsprachen 64 solcher Ketten. Dieses Prachtstück der Göttinger Rechenmaschinen-Entwicklung wurde am 1. Januar 1961 in Betrieb genommen und arbeitete bis zum 9. November 1972 sehr zuverlässig. Nobelpreisträger Werner Heisenberg sagte 1971: "Diese Rechenmaschinen haben uns unschätzbare Dienste erwiesen. Es hat mir immer leid getan, daß später, als die sich schnell vergrößernde Computertechnik den Rahmen eines Max-Planck-Instituts sprengen mußte, die deutsche Industrie dieses Vorhaben nicht mit voller Kraft weiterentwickelt hat. So ist die Führung in der Computertechnik ganz an die Industrie in Amerika übergegangen ..."



Weltbezüglichkeit

Im November des Jahres 1951 besuchte der Bundespräsident Professor Theodor Heuß die Stadt Göttingen. Anlaß war das zweihundertjährige Bestehen der Akademie der Wissenschaften, deren Präsident damals Werner Heisenberg war. Heuß nutzte die Gelegenheit, dem Max-Planck-Institut für Physik einen Besuch abzustatten, wo ihm auch die Rechenmaschine G1 vorgestellt wurde. In seiner Ansprache auf dem Empfang im historischen Rathaus sagte der Bundespräsident - so berichtete das Göttinger Tageblatt am 10. November auf der ersten Seite - "ein tiefsinniges, wahres Wort über die im Getriebe des Alltags meist übersehene `Weltbezüglichkeit unserer Stadt und legte damit - fast beiläufig - den Wesenskern Göttingischen Lebens bloß." - Theodor Heuß hatte gesagt:  "Göttingen ist eine kleine Stadt, durch die aber Ströme der Welt gehen!"